Freitag, 13. Oktober 2017

19. Der Putsch

Ich streife durch meine Gegend. Dabei blitzt es silbrig zwischen meinen Knien und ich habe eine Geräuschkulisse in den Ohren, die an ein futuristisches Maschinenwesen erinnert. Raubtierhaft, irgendwie. Doch dazu später mehr. Ich denke noch kurz an die Arbeit, die ich an meinem Schreibtisch unterbrochen habe, als ich zu diesem spontanen Ausflug aufgebrochen bin. Die kann ich auch morgen noch erledigen, denn heute ist wunderschönes Herbstwetter. Nach Wochen mit Wolken und Regen ist es endlich noch einmal warm und trocken. Das muss man doch ausnutzen! Am Kreisverkehr hinter Maikammer, das ist der mit dem überdimensionalen Klappmeter, biege ich in Richtung St. Martin ab. Diesen kleinen Umweg fahre ich jetzt immer auf dem Weg nach Edenkoben. Ich fahre überhaupt gerne Umwege. Ich vermute, ich kenne an der Weinstraße jeden nur möglichen Umweg. So kann ich einen kleinen Hüpfer von 50 Kilometern locker zu einer interessanten Tagestour ausdehnen. Man kommt netto nur ein paar Kilometer voran, benötigt dafür aber die drei- oder vierfache Fahrstrecke. Immerhin ist ja bekanntlich der Weg das Ziel.
Ich habe wieder ein funktionierendes Mopped!

Dass die Italienerin schrecklich krank war habe ich ja bereits an anderer Stelle berichtet. Kommen wir also zur Genesung: Das Telefon klingelt, und der beste Mechaniker der Welt ist dran: "Du, die Jungs aus Hinterweidenthal haben deine Guzzi fertig. Ich fahre sie heute holen und dann kannst du sie nachmittags bei mir abholen." Hier muss ich kurz ausholen: Der Mechaniker meines Vertrauens hat eigentlich eine Werkstatt für Moppeds aus Bayern. Da er als junger Mann selber mal eine eine Weile eine Italienerin gefahren ist, darf ich mit meiner ausnahmsweise zu ihm kommen. Er erledigt die Inspektionen, wechselt Reifen und Bremsbeläge. Aber immer dann, wenn spezielle Ersatzteile oder spezielles, markenspezifisches Know-How notwendig ist, bringt er sie mit dem Hänger zu einem Kollegen, der auf Italienerinnen spezialisiert ist. Ich habe schon ein richtig schlechtes Gewissen deswegen. Kurz und knapp: Irgendeine Pumpe, die die Einspritzanlage mit Benzin versorgt war wohl völlig durchgedreht, und das hat der Motor nicht gemocht. Wie verabredet hole ich meine Dicke ab und bringe dabei auch gleich die blauweiße GS zurück, die mir bis lange nach dem Ende der Sommerferien zur Verfügung stand. Auch dafür kann ich nicht dankbar genug sein.

An der Villa Ludwigshöhe über Rhodt genieße ich die schöne Aussicht. Und da bin ich nicht der einzige. Mehrere Hobbyfotografen begegnen mir, ein Mensch, dessen Fotoausrüstung schon professionellen Ambitionen genügen dürfte, sowie ein Zeichner und ein Maler. Das ist aber auch ein schönes Fleckchen Erde hier! König Ludwig I. von Bayern soll bei einer Besprechung mit dem Architekten dieses Gebäudes gefragt worden sein, ob er denn an seiner Sommerresidenz auch einen Park wünsche. Er hat das der Überlieferung zufolge heftig verneint mit der Argumentation, dass man bei solch einer Landschaft keines Parks bedarf. Recht hat er gehabt!


Das Schuljahr läuft also schon auf Hochtouren, als mein Mopped wieder bei mir ankommt. Viel Zeit zum Herumfahren ist da nicht. Die Herbstferien brechen aus und eine Kollegin und gute Freundin fragt an, ob ich sie denn einmal auf dem Mopped mitnehmen könne. Sie schreibt Bücher und braucht für eine Szene mit Mopped eigene Erfahrungen, damit sie keinen Unsinn schreibt. Da helfe ich natürlich gern. Gesagt, getan: Helm in passender Größe und Lederjacke (unpassend - an ihr quasi ein Mantel) kann ich leihweise zur Verfügung stellen. Wir haben gemeinsam einen wunderschönen Ausflug über die von mir so geliebten Umwegstrecken. Kurz bevor ich sie wieder Zuhause abliefern kann stottert der Motor und geht aus. Und viel wichtiger: er geht nicht wieder an. Also schon wieder das gesamte Pannenprogramm: Gelbes Auto rufen, eineinhalb Stunden Wartezeit, dann Mopped verladen und zur Werkstatt bringen. Einziger Unterschied zu sonst: Die quirlige junge Kollegin ruft ihren Mann herbei. Der bringt frischen Kaffee und die Kinder blödeln im Auto herum. Ich habe eigentlich während der gesamten Wartezeit nette und unterhaltsame Gesellschaft. Eine Panne kann wirklich auch Spaß machen. Also so ein Bisschen. Sonntags arbeitet der beste Mechaniker der Welt nicht, das sei ihm gegönnt. So habe ich ihm das Mopped vor die Türe gestellt, den Schlüssel in den Briefkasten geworfen und ihn per Email benachrichtigt. Die liebe Kollegin holt mich noch an der Werkstatt ab und fährt mich nach Hause. Schon die zweiten Ferien direkt hintereinander ohne Fahrzeug. Ich bin einigermaßen frustriert.

In Rhodt fällt mir noch ein besonders schöner Umweg ein. Man könnte einfach nach Edenkoben zurück fahren, dann wäre man nach wenigen Kilometern wieder zurück. Es geht aber auch anders, das habe ich selber erst in diesem Jahr entdeckt. Wenn man hier rechts nach Weyher abbiegt, das Dorf durchquert und hinten wieder herausfährt geht es in den Wald. Und zwar nicht in irgendeinen Wald, sondern in den Pfälzerwald, in dem inzwischen sogar wieder Luchse leben. Hier fährt man zunächst in Richtung Ramberg. Das lässt man dann aber links liegen und fährt immer weiter hinein in den Wald. Die Straße wird immer enger und dunkler, der Wald immer dichter. Und gerade wenn man anfängt darüber nachzudenken, ob man sich vielleicht verfahren hat, weist ein Schild den Weg nach Edenkoben. Die jetzt folgende Strecke nennt sich Edenkobener Tal und ist ein beliebtes Ausflugsziel. Deshalb sollte man vorsichtig fahren, es könnten Leute auf der Straße laufen. Außerdem ist die Straße steil, eng, kurvig und ohne Leitplanke. Ein Grund mehr, hier sehr vorsichtig zu sein. Hier ist mir einmal ein Bus entgegengekommen, das war kein Vergnügen!

Auf meine Email mit dem Betreff "Die Guzzi ist schon wieder verreckt" antwortet der Techniker meines Vertrauens Dinge, die nicht unbedingt zitierfähig sind. Ein Satz ist es, und der regt mich erneut zum Nachdenken an: "Wir brauchen da eine Lösung!". Stimmt! Und ich wäge ab: Ersatzteilversorgung beim meistgebauten Mopped in Mitteleuropa (also der GS) gegen geringe Vertragswerkstattdichte bei meiner breitärschigen Italienerin mit den dicken... (Zylindern! Was haben Sie denn gedacht?). Brillante Verarbeitung, geringe mechanische Toleranzen sowie Laufruhe (GS) gegen kesselnden Motor, beruhigendes Pöttern und labberige und klapprige Schalt- bzw. Bremsgestänge. Wenn man eine solche Entscheidung von den Emotionen abkoppelt, ist sie ganz einfach. "Ich denke, die Lösung heißt BMW. Hat dein Kunde seine GS noch? Was will er denn dafür haben?" antworte ich. Um es kurz zu machen: Der beste Mechaniker der Welt hatte mir einmal von einem Kunden erzählt, der seinen Fuhrpark verkleinern möchte. Der hatte unter Anderem eine ältere GS, die er abstoßen wollte. Um es noch kürzer zu machen: Der Kontakt war sehr freundlich (interessanter Mensch!) das Angebot überaus fair, die Laufleistung des Moppeds nur etwa ein Viertel von dem, was meine Italienerin gelaufen ist.

In einem Wort: Taddaaa:

Darf ich vorstellen: Meine neue Herde Pferde (mit Helm und Handschuhen)
Die Strecke zwischen Edenkoben und Hambach kenne ich aus dem FF. Hier traue ich mich auch einmal, ein Wenig aufzudrehen. Das neue Mopped ist mir noch nicht so vertraut, deshalb lasse ich auf weniger bekannten Strecken Vorsicht walten. Meine Italienerin habe ich die ersten zwei Jahre (!) praktisch nur mit angezogener Handbremse gefahren bis ich mit dem Fahrverhalten so vertraut war, dass ich mich wirklich sicher fühlte. Heute lenke ich die Guzzi de facto mit dem Hintern (durch Gewichtsverlagerung). Sie ist ein Teil meines Körpers geworden über den ich nicht mehr nachdenken muss. So werde ich es mit der GS auch machen. Immer vorausschauend, defensiv bis vorsichtig und zuweilen paranoid. Denn wer als Motorradfahrer nicht mit den Fehlern der anderen Verkehrsteilnehmer rechnet spielt, ganz egal wie gut seine eigenen fahrtechnischen Fähigkeiten einzuschätzen sind, mit seinem Leben.

Bei den Ortsdurchfahrten probiere ich aus, wie leise ich die GS fahren kann, wie ich das Raubtierröhren in den Griff bekomme. Der Vorbesitzer hatte einen Sportauspuff montiert. Der einzige Sinn und Zweck eines Sportauspuffs besteht offenbar darin, dass der Motor so klingt als habe er mehr Leistung. Hat er aber nicht! Aber im vierten Gang und bei mäßigem Gas schnurrt auch diese GS dann  wie eine Katze. Wenn auch wie eine ziemlich große Katze. Eine ziemlich große, heisere Katze. Ach was! Ich lass' das jetzt so. Ich baue darauf, dass ich es hinbekomme, so leise zu fahren, dass ich niemandem damit auf den Zwirn gehe.

"Mit breitem Grinsen kommt er herein..." spiegelt mir der beste Mechaniker der Welt mein Verhalten, als ich das neue Mopped zum ersten Mal vor seiner Werkstatt abstelle und durch die Türe gehe. Tatsächlich freue ich mir ein Loch in den Bauch. Von meiner Italienerin gibt es auch frohe Kunde: Offensichtlich gibt es, das bestätigt den ursprünglichen Anfangsverdacht, auf einem Topf keinen Zündfunken. Vielleicht war die defekte Pumpe ja nur ein Symptom, nicht aber die Ursache. Wie dem auch sei: Es gibt eine konkrete Spur, und damit auch die Hoffnung auf rasche Genesung. Ich kann gelassen auf die Rückkehr der Italienerin warten, denn ich bin jetzt wieder mobil. Der freundliche Gemüsehändler aus der Nachbarschaft, mit dem ich mich manchmal über die Italienerin unterhalte, hat mir angeboten, dass ich eins meiner Moppeds in seinem Moppedschrauberraum abstellen kann. Nicht weit von meiner Wohnung entfernt und abschließbar. So kann ich zum Beispiel die GS vor dem Zugriff der an Silvester marodierenden Jugendlichen schützen, die Motorradsitzbänke auch gerne mal als Abschussrampe für Pyrotechnik benutzen.

Wenn die Italienerin genesen sollte, wird sie durch die GS sicher spürbare Entlastung finden. Das hat sie auch verdient, denn sie ist, bezogen auf die Laufleistung, schon zwei mal um den Globus gefahren und mit ihren 18 Jahren auch nicht mehr wirklich ein junges Fahrzeug. Aber wie dem auch sei: Falls eines der beiden Moppeds noch einmal den Geist aufgeben sollte, habe ich ab sofort immer Ersatz. Bleibt abzuwarten, wer in Zukunft meine "Nummer eins" wird.

Montag, 31. Juli 2017

18. Der Verrat

Ich streife durch meine Wahlheimat und zwischen meinen Beinen gurgelt nicht markant und untertourig der V2. Es ist Sommer, es ist heiter bis wolkig, der warme Wind bläst durch meine Jacke und es geht mir gut. 
Moment mal! Was war das gerade? Der V2 gurgelt nicht? Aber womit bewege ich mich dann vorwärts? Was da zwischen meinen Beinen Geräusche macht ist etwas Anderes. Es surrt emsig wie eine Nähmaschine und ist kein V2-Motor aus Italien, sondern ein Boxermotor aus Bayern. "Guzzi mit Hängetitten" nennt ein lieber Freund von mir so etwas. Ich komme mir vor wie ein Verräter an meiner geliebten Italienerin. Ich möchte mich in die Ecke stellen und mich schämen. Und nicht eher zurückkommen, ehe ich mich richtig geschämt habe. 



Die Kleine Kalmit bei Ilbesheim ist mein Ziel. Südliche Weinstraße - wo sonst? Ich will mir ein Bild vom dortigen Naturschutzgebiet und mit der Kamera Fotos davon machen. Doch als ich in Leinsweiler von der Weinstraße abbiege, merke ich sofort: da stimmt etwas nicht! Merkwürdig viel Verkehr auf der Straße. Ilbesheim und Leinsweiler sind entzückende und leicht verschlafene Winzerdörfer. Da ist normalerweise nie viel Verkehr auf der Straße. Aber heute stehen links und rechts am Straßenrand Autos, als wäre Flohmarkt. "Ein Fest!" schießt es mir durch den Kopf. "Das kann nur ein Fest sein! Die feiern ja ständig Feste in der Pfalz!". Und tatsächlich sieht man auf der Kleinen Kalmit schon von weitem allerlei Zelte und überdachte Stände. "Na, die werden ja wohl nicht im Naturschutzgebiet feiern, also was juckt es mich?" denke ich, und fahre tapfer weiter. Doch nach und nach wird mir die Tragweite des Problems deutlich: Ich kann das Mopped nicht in der Nähe der Kleinen Kalmit abstellen. Es sind einfach keine Stellplätze mehr frei. Und selbst wenn: Ich müsste mir nach dem Abstellen des Moppeds erst einmal den Weg mit Kamerarucksack und daran hängendem Helm (das Mopped hat keine Koffer) durch vermutlich tausende feiernde Pfälzer kämpfen, bevor ich oben ankomme. Nöh! Das ist nicht mein Ding. Die Kleine Kalmit läuft mir ja nicht weg, die ist auch nächste Woche noch da. Zurück marsch, marsch!

Bleibt noch die Frage nach dem Mopped. Was ist passiert? Die Antwort ist erfrischend banal: "Irgendetwas mit der Zündspule:" hat der Mann mit dem gelben Auto vermutet. Und "Die Zündspule ist erst in KW 32 lieferbar." hat dann noch der Moppedschrauber meines Vertrauens einen draufgesetzt. Da er es einmal erwähnt hat, weiß ich: er hat mehrere Moppeds, die er gelegentlich auch an Kunden seiner Werkstatt verleiht. Da an der Guzzi auch schon im letzten Jahr in den großen Ferien pünktlich zur ersten größeren Ausfahrt ein wichtiges Teil abgeraucht ist, habe ich beschlossen, dass ich ein Ersatzmopped haben will. Ich möchte nicht schon wieder meine Sommerferien ohne Fahrzeug verbringen. Also allen Charme ausgepackt, Wimpernklimpern und "Bittebittebitte..." - hat geholfen. Er leiht mir eine! Hurra! Ferien mit Mopped! 


Ich plane spontan um und fahre einfach die südliche Weinstraße weiter entlang bis zum Weintor in Schweigen-Rechtenbach direkt an der französischen Grenze. Dort erfreue ich mich an der Aussicht vom Weintor in die Rheinebene und auf der anderen Seite bis nach Frankreich. Schön, dass die Grenze inzwischen so offen ist, dass man sie überhaupt nicht mehr bemerken würde, wenn Schilder nicht darauf hinweisen würden. Ich bin froh über jedes Land in Europa, in dem die Menschen diese Freizügigkeit genießen können. Denn das war auch schon anders. Mit Grausen erinnere ich mich noch an den Eisernen Vorhang, der einst Europa teilte und von einer Seite her gänzlich undurchdringlich war. Beim Gedanken an die vielen Kriege, die Europa einst erschüttert haben wird mir ganz mulmig. Wie jedesmal, wenn ich am Weintor bin, schaue ich mir deshalb zwei Details daran noch einmal genau an: Da wäre zunächst das riesige Relief eines Adlers auf einem Kranz aus Eichenlaub. Die Stelle, an der früher das Hakenkreuz prangte ist heute ein Trümmerfeld und Zeuge der gewaltsamen Entfernung dieses Symbols der Erbauer des Tors. Außerdem hat sich 1945 in einem der Sandsteinquader zu Füßen des Adlers ein offensichtlich aus Texas stammender G. I. in einem großflächigen Relief verewigt. Beides, Hakenkreuztrümmer und Texaskarte, erzählen etwas über unsere Geschichte. Ich finde es gut und richtig, dass bei bisherigen Instandsetzungsarbeiten darauf verzichtet wurde, diese Spuren zu beseitigen. Wer seine Geschichte vergisst, kann für seine Zukunft nichts daraus lernen. Ich kaufe noch eine Flasche Rieslingsekt. Schließlich bin ich hier als Tourist unterwegs und das soll man auch merken. Der Sekt stammt aus Niederkirchen, keine zehn Kilometer von Neustadt entfernt. Na, dafür hätte ich ja nicht so weit fahren müssen. Ich mache mich bei deutlich wolkenverhangenem Himmel auf den Rückweg.

"Am besten nimmst du bei deiner Größe die GS." Sagt der Moppedschrauber meines Vertrauens und zeigt auf ein blau-weißes Riesending mit Rädern. Meine Italienerin kommt ja mit der Eleganz eines zweirädrigen Autoscooters daher. Aber dieses Teil erinnert eher an ein Insekt. Vielleicht eine Gottesanbeterin oder eher noch an eine Libelle. Der riesige Tank könnte die gewaltige Flugmuskulatur aufnehmen, die notwendig wäre, um dieses Tier in die Lüfte zu erheben. Als hätte er meine Gedanken gelesen wiegelt der beste Mechaniker der Welt ab: "Keine Sorge! Die fährt sich wie ein Fahrrad. Setz' dich einfach vorurteilsfrei drauf und fahr' los." Vorurteilsfrei? Als hätte ich Vorurteile gegen die Bayern! Allenfalls gegen ihre Sprache. Aber auf keinen Fall gegen ihre Moppeds. Ist halt nur alles so anders.

Was ist eigentlich anders? Nun, meine Italienerin würde ich eher als Cruiser beschreiben. Das hier ist eindeutig eine Enduro, und zwar eine sehr, sehr große. Die Motoren sind von ihren Eckdaten her ähnlich: Der Hubraum aus Bayern ist gerade mal zweieinhalb Schnapsgläser größer als der aus Italien. Das macht summasummarum neun Pferde mehr. Nicht die Welt. Allerdings spielen auch noch andere Faktoren eine Rolle. Das Getriebe ist anders abgestimmt und die Enduro ist einen ganzen Zentner leichter als mein Cruiser. Die Sitzbank ist stark nach unten gebogen, so rutscht man als Fahrer nach dem Besteigen dieses Riesendings mit Gesäß und Gemächt in eine Art Kuhle, die einen von vorne und hinten sanft festhält. Das kann man mögen oder auch nicht, aber nötig ist es. Um es in einem Satz zusammenzufassen: Das Teil geht ab wie die wilde Sau! Dabei schnurrt der Boxermotor wie ein Kätzchen. Die Laufruhe des Zweizylinders irritiert mich etwas. Es fehlt das Pöttern und Gurgeln, das Hämmern und Schlagen. Das muss kesseln! Aber andererseits: Das Ding geht ab wie die Luzie. Ich kann mich bei meiner Italienerin bestimmt nicht über mangelndes Temperament beklagen, aber das hier ist noch einmal eine andere Größenordnung. Holla, die Waldfee!

In Eschbach spüre ich ein paar Regentropfen auf der Haut. Zeit, irgendwo einen Happen zu essen. Ich kehre in einer der zahlreichen Weinstuben ein, die irgendein Winzer nebenbei betreibt. Es stehen pfalztypisch überwiegend recht fleischlastige Gerichte auf der Karte. Da ich weder Säugetiere noch Vögel esse, habe ich über die Jahrzehnte gelernt, diesen Teil einer Speisekarte einfach auszublenden. Dadurch wird die Karte viel übersichtlicher und ich kann in der Regel kurz nach dem Aufklappen dem Kellner schon meine Bestellung aufgeben. Ich entscheide mich für zwei Vorspeisen: Weinbergschnecken und Handkäse mit Musik. Einfach, gut und lecker. Auch ich bin in der Pfalz bisher immer satt geworden. Habe schließlich nicht umsonst Übergewicht.

Auf dem Heimweg fange ich mir immer wieder ein paar Tropfen ein, werde aber nicht wirklich nass. Über der Weinstraße hängt eine dramatisch wirkende, dunkelgraue Wolkendecke. Nur an einer Stelle blitzt der blaue Himmel durch, und zwar genau über der Maxburg, besser bekannt als das "Hambacher Schloß". Ein schönes Symbol am Ende einer gelungenen Ausfahrt über meine geliebte Weinstraße. Vielleicht fahre ich morgen noch einmal über die schönsten fünfzehn Kilometer der Welt.